Manchmal sprudelt die gute Laune nur so aus einem heraus. Alles ist bunt, alles ist Quatsch, alles ist easy, Lebensfreude und Leichtigkeit. Wir sind wieder Kinder beziehungsweise die inneren Kinder in uns sind wieder erwacht. Wir haben keine Hemmungen, Grimassen zu schneiden, in Rollen zu schlüpfen, uns beim Singen des Fliegerliedes genussvoll auf den Rücken zu legen, während die Herren und Damen aus dem AWO-Altenheim im Hasenbergl um uns herum aufgereiht sitzen, um diese unsere erste Vorstellung vor Publikum zu bewundern. Wir trauen uns, über Tische zu klettern und ein Ei auf einem Kochlöffel zu balancieren, mit Topfdeckeln Seifenblasen zu fangen und in farbenfrohen übergroßen Hosen Unsinn zu machen. Wir sind Clowns, und schon so gut, und das nach nur vier Wochenenden. An diesem, unserem fünften, haben uns unsere Lehrer Alexander Radinger und Jutta Tomandl einen ersten Auftritt ermöglicht. Alexander, der als Arzt ganz in der Nähe des Heims niedergelassen und dort auch als Arzt öfter im Einsatz ist, hat dieses tolle Erlebnis in die Wege geleitet. Wir haben jetzt fast die Hälfte der Weiterbildung „Therapeutische Clownerie“ hinter uns gebracht und unsere beiden Lehrer sind stolz auf unseren Mut. Und auf unsere lustigen Vorführungen.
„Körperarbeit“. „Den eigenen Clown in sich entdecken“, „Clownerie als Lebenshaltung“ und „Grundlagen der Clownimprovisation“ haben wir schon hinter uns. Das fünfte Modul heißt „Vertiefung des Repertoires“, und dieser Name ist Programm. Genau dieses Wochenende ist wirklich ganz besonders intensiv. Auch alle anderen waren sehr spannend. Wir haben theoretische und praktische Grundkenntnisse der Psychologie von Psychotherapeut Stefan Weixelbaumer erlernt. Wir haben Meditationen gemacht und sind sogar schon am allerersten Wochenende auf die Bühne getreten. Diese Bühne war allerdings in unserem Lehrsaal, einfach ein Stück des Raumes. Diese Bühne hatte auch eine Vorbühne. Auf diese sollte man als erstes treten und sich die Nase aufsetzen. Die rote Clownsnase, die es an diesem Wochenende allerdings noch nicht wirklich gab, vielmehr setzte man sich eine unsichtbare Nase auf. Ein Ritual, das einen zu sich selbst bringen sollte, bevor man vor die Zuschauer – die 14 anderen Teilnehmerinnen – trat und etwas vorführte.
Etwas vorführen, gleich am Anfang des Kurses? Ja, tatsächlich hatten die meisten diesen Mut. Und alle haben es überlebt. Und alle hatten eine Idee für eine amüsante Mini-Szene. Na also, ist doch ganz einfach, Clown zu sein.
Dann aber gibt es auch Momente, in denen alles nur Zweifel ist. Ich kann nichts, ich mag mich nicht, ich bin überhaupt kein Clown. Ich habe kein Talent so wie die anderen. Die eine kann Rad schlagen, gleich drei, vier hintereinander. Die andere kann Kopfstand, die dritte spielt ein Instrument, die vierte hat eine echte Bühnenpräsenz und die fünfte ist krass beweglich und hat unglaubliche Ideen. Wieder eine andere kann irre Grimassen schneiden und eine weitere hat ein beeindruckendes Auftreten. Und ich? Hab gar kein Talent. Wie kam ich nur auf die Idee, an diesem Kurs teilzunehmen? Bin nicht extrovertiert und keine Bühnenfrau. Es ist zum Heulen. Wenn ich ein Clown sein soll, dann kann es nur ein langweiliger, ruhiger, stiller sein. Aber wie ist es denn bei den anderen? Haben die „den eigenen Clown“ in sich denn schon entdeckt? „Nein!“ ruft Inge aus, als ich sie frage. „Höchstens Schnipsel davon. Aber ich glaube, der wird sich eh immer wieder verändern.“ „Noch nicht wirklich“, sagt Helena. „Ich bin auf dem Weg. Mein Clown ist jedenfalls eher bedacht.“ „Ich kann mich da noch nicht festlegen. Ich bin unterwegs.“ So drückt sich Barbara aus. Gaby sagt: „Ich möchte gern der lustige, tolpatschige Clown sein. Aber je länger es dauert, desto mehr komm ich auf den zärtlich-tröstlichen. Ich glaube, ich möchte vor allem im direkten Kontakt auf Menschen eingehen, nicht so sehr gemeinsam auf der Bühne stehen. Obwohl Alexander sagt, es sei zu zweit einfacher, glaube ich das im Moment nicht.“ Agneta, die sehr lebhaft ist, findet gerade das Ruhige anspruchsvoll. „Das ist voll schwer, aber das will ich lernen“, sagt sie. Helena dagegen findet: „Ich find‘s leichter als Lustig sein.“ Nur Anne hat schon eine feste Vorstellung von sich als Clown: „Der dicke Mann“. Die zierliche kleine Anne schlüpft gerne in diese so andere Rolle. Das hat für sie auch eine Bedeutung: „Mein Clown soll anders sein als meine Tagesperson. Ruhiger, behäbiger, umfangreicher. Sonst bin ich immer diejenige, die das Heft in der Hand hat. Wer wenn nicht ich soll alles regeln – so sieht mein Leben aus. Aber als Clown trage ich keine Verantwortung.“
Okay, auch die meisten anderen, die von außen betrachtet so selbstsicher und perfekt wirken, haben noch ihre Zweifel, wie tröstlich. Da fällt mir ein, was wir bei Stefan schon am zweiten Wochenende gelernt haben: Im Keller gibt es einen tollen Hobbyraum mit Tischfußball und reichlich Bier. Und dorthin sollen wir „den Bewerter“ in uns schicken, sobald er sich meldet. Denn es geht hier gar nicht darum, gut oder schlecht zu sein. Ein Clown sei gar nicht dafür da, amüsant zu sein und ein unterhaltsames Programm für die Zuschauer zu bieten. Ein Clown solle einfach authentisch sein und in Kontakt mit anderen Menschen gehen, quasi deren Energie auf sich wirken lassen und sehen, was sich entwickelt.
Ja, und was entwickelt sich denn an diesem Nachmittag unseres ersten Auftritts? Wir sind alle stolz und ein bisschen euphorisch. Manche haben auch eine kleine Kritik, meinen, wir hätten langsamer sein sollen, kürzere Szene spielen oder einfachere Abläufe bieten. Ich dagegen merke an diesem Nachmittag etwas Erschreckendes: Eigentlich habe ich Angst vor Menschen! Eigentlich habe ich Angst vor dem Kontakt. Und ich habe auch Angst vor Blicken. Ich befürchte – hallo Bewerter, warum gehst du nicht in den Hobbyraum ? – dass sie alle nur Negatives über mich denken. Als ich nach dem Auftritt im Altenheim an einer Frau vorbei gehe, sagt sie etwas, das ich nicht verstehe. Ich vermute, dass es etwas Schlimmes ist. Auch dass ein Mann zu mir sagt: „Ihr wart super“ kann meinen Bewerter nicht wirklich vertreiben.
Wie tief ich in meine Ängste hineingekommen bin, merke ich aber erst am nächsten Tag. Alle Übungen sind mir zu viel, zu nah, zu bedrohlich. Ich möchte mich verkriechen und nur zuschauen, andererseits beneide ich die anderen um ihre Unbeschwertheit. Der Tag wird schon herumgehen, denke ich, das Hochgefühl von gestern hat sich ins Gegenteil verwandelt. Dabei hätte ich gerade die eine Übung sehr gerne gemacht: Ein Gedicht vortragen mit dem Titel „Stille“ und dann einfach nur schweigen. Die Idee ist so schön und auch vom Zusehen wird einem ganz anders, weil man spürt, welche Intensität durch Schweigen entsteht. Dann aber kommt es noch „schlimmer“: Alexander kündigt die Übung „Der liebevolle Blick“ an. Wir sollen einer anderen Person drei Minuten lang liebevoll in die Augen schauen. Das ist der Gau, das kann ich nicht. Das kann ich gerade noch verkünden, dann flüchte ich aus dem Raum und weine.
Wie schön, dass Dozentin Jutta Tomandl Kinder- und Jugendpsychiaterin ist. Und dass sie mich jetzt fragt, was los ist und wir in einem anderen Raum zu zweit darüber reden. Dass ich Angst vor Blicken habe. Die Tiefe der Augen. Die Weite der Seele. Etwas Unkontrollierbares könnte geschehen.
Man begegnet sich definitiv selbst bei diesem Kurs. Ida etwa sagt nach ihrem „Vortrag“ des „Stille“-Gedichts: „Eigentlich ist es das, wo ich mich am wohlsten fühle, in der Stille.“ Dabei springt sie doch oft so munter und übermütig herum.
Innen und außen. Jeder hat (mindestens) zwei Seiten. Hier begegnen sie einem. Und es ist gut, dass sie einem begegnen, sagt Jutta. „Es ist gut, wenn man seine Grenzen erkennt und sich schützt.“ Wenn sie mit ihrer Gruppe clownen geht, erzählt sie, „gehen wir nur in so viele Zimmer, wie unsere Energie reicht. Wir lassen uns nicht sagen, dass wir eine bestimmte Anzahl Zimmer schaffen müssen.“ Dass ich meiner Angst begegnet sei, sei nur gut. „Jeder hat seinen Angstpunkt, der getriggert werden kann.“ Sie erzählt von ihrem: Bei einem Clownbesuch sprach sie mit einer Frau im Rollstuhl, die an epileptischen Anfällen litt. Plötzlich hielt diese ihre Hand so fest umklammert, dass sie nicht mehr los kam. „Ich fühlte mich gefangen“, sagt Jutta. „Das ist meine Angst.“ Es sei ein schrecklicher Moment gewesen, erinnert sie sich, wie sie angsterfüllt da saß und rundherum machten die anderen gerade Polonaise zu lustigen Liedern.
So ähnlich fühle ich mich an diesem Tag auch. Das Lachen und Jubeln der anderen aus dem Gruppenraum ist ein skurriler Kontrast zu meinem Elend. „Man muss gar nichts, man muss nichts leisten, man kann jederzeit aussteigen“, sagt Jutta noch. Und das habe ich eben heute gemacht, denn ich habe meinen Clown gerade komplett verloren, oder sogar mich selbst. Oder auch nur meine altgewohnte Schutzmauer.
Clownen ist nicht immer einfach. Dafür haben Alexander und Jutta auch viele weitere Beispiele. Alexanders Besuch im Frauengefängnis etwa, wo er auf eine „Eismauer“ traf. Doch indem er mit seinem „Clown-Buddy“, seinem Partner, einfach in der Clownenergie blieb, konnte er die Eismauer langsam schmelzen. Später, als die Frauen sich bei einem Ritual im Konfettiregen etwas wünschen durften, waren sie sehr offen und privat. Wie unberechenbar jeder Clownkontakt ist, zeigt auch ein weiteres Erlebnis von Jutta. Bei einem Besuch in einem Krankenhaus wurden sie und ihre Partnerin vor einem Zimmer von mehreren Menschen besonders gewarnt, sogar von der Putzfrau. „Gehen Sie da bloß nicht rein!“ Sie gingen trotzdem hinein und erlebten statt der angekündigten bösen Patientin eine sehr liebe und offene. Wie jemand auf einen Clown reagiert, ist nie vorhersehbar. Eine andere Dame, der Jutta als Clown in einem Krankenhausflur begegnete, wurde so aggressiv, dass sie sich lieber schnell verzog.
Also ja, das kann durchaus vorkommen. Nicht überall wird man als Clown willkommen sein. Mit Ablehnung umzugehen, wird eine der Herausforderungen sein. Es wird aber auch Erlebnisse geben, die sich nicht in Worte fassen lassen, weil sie so schön und intensiv sind. Und böse Blicke, ja, die kann es geben. Aber auch liebevolle Blicke wird es geben, vielleicht so intensiv, dass sie kaum zum Aushalten sind.
Es ist auf jeden Fall eine sehr emotionale Angelegenheit, Clown werden zu wollen. Und für alle Situationen, wie auch immer sie sein mögen, hat Jutta noch einen Rat: „Bei sich bleiben, auch wenn man im Kontakt ist!“ Sie selbst mache dies, indem sie auf ihren Atem achte.
Nach unserem schönen Gespräch zu zweit komme ich wieder in den Gruppenraum und werde von tosendem Applaus empfangen. Es läuft gerade die Übung „Applaus aushalten“. Sich einfach hinstellen und den Jubel genießen. Nach dem Reden mit Jutta kann ich das jetzt wieder. Der Bewerter findet das lächerlich? Ab in den Hobbykeller!